Kluge Konservierung für Mainzer Inkunabeln - Beschreibung einer Bestandserhaltungsmaßnahme
Die Bestände des Mainzer Gutenberg-Museums sind vielfältig. Außer Maschinen und Objekten wie Tintenfässern und Schreibgeräten, Medaillen, Briefmarken, Skulpturen, Tassen und Gläsern gehören auch Grafiken und Bücher dazu. All diese Objekte sollen die Entwicklungen in der Druck-, Buch- und Schriftgeschichte bis in die heutige Zeit dokumentieren. Innerhalb dieser reichhaltigen kulturhistorischen Sammlung bilden die Inkunabeln, also die zwischen der Erfindung des Buchdrucks und dem Jahr 1500 gedruckten Bücher, eine besonders wichtige und wertvolle Gruppe.
Allerdings ist ihr hohes Alter von über 500 Jahren an vielen dieser Bände nicht spurlos vorüber gegangen: Es fehlen Buchdeckel, Buchrücken sind gebrochen, Blätter und Bögen locker oder ganz aus dem Buchblock gelöst, kurz: zahlreiche Inkunabeln des Gutenberg-Museums waren in ihrer Substanz gefährdet (Abb.1).
Da eine Restaurierung aller betroffenen Stücke erst nach und nach erfolgen kann, favorisierten wir eine konservatorische Lösung, die es uns erlaubte, die beschädigten und gefährdeten Bücher optimal zu verpacken. Bei der Wahl der konservatorischen Verpackung konnten wir auf positive Erfahrungen zurückgreifen, die wir 2004/2005 mit der Firma KLUG-CONSERVATION gemacht hatten. Sie hatte dem Gutenberg-Museum für seine 1500 Pressendrucke und Künstlerbücher individuelle Schutzverpackungen aus säurefreiem Karton („Boxen“) angefertigt, wodurch sich die Aufbewahrungsbedingungen entscheidend verbesserten.
Die Vorteile dieser maßgeschneiderten Schutzbehältnisse sind leicht einsehbar:
1. Die Bände werden vor weiteren mechanischen Beanspruchungen geschützt. Besonders häufig sind Schäden am Kapital, an dem man das Buch gerne aus dem Regal zieht, auch wenn das Kapital dafür nicht gemacht ist und reißt. Die Boxen verhindern einen solchen Zugriff und damit die Beschädigung.
2. Die Bände sind beim Transport in den Lesesaal oder bei Leihvorgängen
außer Haus ebenfalls geschützt.
3. Die Einbände können nicht mehr durch die Metallteile benachbart stehender Holzdeckelbände verkratzt werden.
4. Die Bände verstauben weniger und sind dem Licht nicht ausgesetzt.
5. Gelöste Einbandelemente wie abgerissene Deckel oder gelöste Blätter und Lagen bleiben gemeinsam mit den Bänden aufbewahrt und gehen nicht verloren. Schon frühere Generationen haben diese Gefahr erkannt und sich beispielsweise im Gutenberg-Museum in materialarmen Zeiten folgendermaßen beholfen: die Bände wurden in alte Notenpapiere eingeschlagen und mit Kordel verschnürt (Abb.2).
Andererseits ergeben sich durch Verpacken des ganzen Bestandes auch Nachteile, die Bibliothekare und Einbandforscher immer wieder formulieren: gerade auf den Buchrücken finden sich Informationen, die optisch schnell fassbar über Provenienzen Auskunft vermitteln und durch das Verpacken nicht mehr auf den ersten Blick zu erkennen sind. Um diesen Nachteil auszugleichen, wurde der gesamte Bestand Regalweise digital fotografiert. So können die Buchreihen virtuell bequem vom Rechner aus abgeschritten werden. Ein weiteres grundsätzliches Problem besteht darin, dass sich durch das Verpacken Höhe und Umfang eines jeden Bandes vergrößern. Daher passen viele Bücher nicht mehr in ihre ursprünglichen Fächer und insgesamt erhöht sich der Bedarf an Regalmetern. Am Anfang unserer Planung stand natürlich die Frage nach der Finanzierung eines solchen Projektes.
Da wir die Kosten nicht aus unseren laufenden Mitteln bestreiten konnten, musste bei der Stadt Mainz als der Trägerin unseres Museums der Betrag für dieses Projekt beantragt werden. Dazu benötigten wir genauere Vorstellungen der Verpackungsmodelle und daraus folgend einen Kostenvoranschlag. Außerdem mussten wir überlegen, wie eine solche Aktion, nämlich 3000 Inkunabeln in Kassetten zu verpacken, bei der knappen Personalausstattung unseres Hauses organisatorisch und logistisch durchzuführen ist.
Mit dieser von uns bald kurz als „Boxing“ bezeichneten Aufgabe sollten auch einige Verbesserungen in der Organisation des Inkunabelbestandes einhergehen:
1. Mit dem Vermessen sollte gleichzeitig eine Revision der Bestände vorgenommen werden.
2. Damit die Arbeitssicherheit unserer Mitarbeiter hoch auf der Leiter erhöht wird, wollten wir nur noch die kleinen Bände auf den oberen Regalbrettern platzieren (Abb.3). Das erreichten wir, indem wir die neuen Kassetten durch Signaturzusätze, nämlich „groß“ und „klein“ (bis 25 cm), in zwei Gruppen unterschieden. Damit wollten wir außerdem Regalplatz besser nutzen. Allerdings ging mit dieser neuen Regelung ein erheblicher Mehraufwand an Arbeit einher, da der Bestand intensiv umgeordnet werden muss. Freilich wird sich beim Boxing eine neue Ordnung in den Regalsystemen nie ganz vermeiden lassen, da durch die Wellpappe-Kassetten der Platzbedarf der Bände ohnehin zunimmt.
3. Auch die im Museum in der Dauerausstellung präsentierten Bände sollten für eventuelle Transporte oder Ausstellungsänderungen Schutzbehältnisse und damit Stellplatz im Magazin bekommen. Dafür war zusätzlicher Regalplatz einzukalkulieren.
Der erste konkrete Schritt zur Realisierung unseres Projektes bestand in einem Kontakt mit der Firma KLUG-CONSERVATION. Bei einem Ortstermin im Mai 2006 berieten wir uns mit einem Mitarbeiter der Firma über für uns geeignete Modelle aus dem Sortiment von KLUG-CONSERVATION.
Unter den Inkunabeln gibt es viele originale Holzdeckeleinbände vom Oktavband bis zum umfangreichen schweren Folianten. Aber es existieren auch kleine schmale Pappbände von aufgelösten Sammelbänden (Abb.4). Je nach Umfang entschieden wir uns für unterschiedliche Behältnisse: bei weniger als 25 mm Rückenbreite sollten Jurismappen angefertigt werden, bei breiteren Rücken KS 3, KS 17 und KS 17 „Trier“ Boxen zum Einsatz kommen. Wir maßen einige Bände aus, um die unterschiedlichen Kassettenmodelle am Objekt zu prüfen und bekamen dafür eine Mustersendung, an der wir die verschiedenen Behältnisse konkret am Objekt ausprobieren und unsere Ansprüche an die Art der Verpackung konkretisieren konnten.
Beispielsweise wird das besonders stabile Modell KS 17 „Trier“ mit Bändern angeboten, aber wir hielten ein Zusammenbinden für aufwändig und überflüssig. So entschieden wir uns gegen diesen Zusatz. Oder das KS 3 Box ist in einer Sonderanfertigung ohne Schlitze erhältlich und wir bevorzugten diese kompakte Sonderform. Definiert wird die jeweils in Frage kommende Konstruktion durch Rückenbreite und -höhe, beispielsweise umschließt die Trier-Box Bände, deren Buchhöhe 35 cm übersteigt und die Rückenbreite 3 cm. So mussten wir nicht bei jedem Band überlegen, welches Modell angefertigt wird, sondern aufgrund der Messergebnisse sorgte die Firma KLUG-CONSERVATION für die richtige Zuordnung. Für den Kostenplan war die Verteilung der Boxen-Modelle ein wichtiger Faktor, denn eine Jurismappe ist deutlich preisgünstiger als eine Trier-Box. Mit geschultem Auge schätzte der Mitarbeiter von KLUG-CONSERVATION den Anteil kleiner oder großer Bände vom Gesamtvolumen und beriet uns zutreffend und kompetent. Im Kostenvoranschlag legten wir weitere Einzelheiten für die Lieferung fest: Da unsere wenigen Mitarbeiter das Falzen und Aufrichten der Boxen nicht übernehmen konnten, kauften wir diese Dienstleistung bei KLUG-CONSERVATION zusätzlich ein, wodurch sich auch die Transportkosten verteuerten. Außerdem ließen wir Signaturschilder (Laserdruck auf alterungsbeständigem Etikettenpapier im von uns vorgegebenen Format) auf die Schutzkartonagen kleben, einen zusätzlichen Satz Signaturschilder erhielten wir für die umsignierten Bände. Aus logistischen Gründen vereinbarten wir darüber hinaus Teillieferungen von je 500 Boxen, weil wir die komplette Lieferung von 3000 leeren Konservierungsboxen nicht unterbringen konnten. Im Dezember 2006 wurde dieses Projekt bei der Stadt Mainz als Trägerin des Gutenberg-Museums beantragt. Mit der Firma KLUG-CONSERVATION wurden auch schon Teillösungen besprochen, falls nur ein Teilbetrag der Antragssumme genehmigt würde. Der Startschuss fiel 2008, als erfreulicher Weise die Finanzmittel für das gesamte Projekt bereitgestellt wurden.
Der erste Schritt bestand im Vermessen aller Bände, die mit einem Behältnis versehen werden sollten. Dazu lieh uns KLUG-CONSERVATION ein Messgerät, das im April 2008 durch eine Spedition geliefert wurde. Das Gerät besitzt eine
automatische Messvorrichtung, in die der betreffende Band eingelegt wird. Seine Signatur wird auf einer Computertastatur eingetippt, dann werden die drei erforderlichen Maße (Höhe, Breite und Dicke) per Knopfdruck übernommen (Abb.5). Aus Gründen der Praktikabilität sollte dieser Arbeitsgang immer von zwei Mitarbeitern durchgeführt werden. Als hinderlich erwies sich, dass ein einmal per Knopfdruck abgeschlossener Messvorgang nicht mehr korrigierbar ist. Andererseits verhindert diese Sicherung, dass Daten durcheinander gebracht werden.
Da ohnehin alle Bücher einmal in die Hand genommen werden mussten, verknüpften wir das Ausmessen der Inkunabeln mit einer Revision, auch wenn sich dadurch das Vermessen verzögerte. Dabei recherchierten wir aufgefallene Unklarheiten und notierten besonders angegriffene Exemplare, um sie möglichst bald zu restaurieren. Erschwert wurde unsere Arbeit durch die Entscheidung, die gesamte „Boxing-Aktion“ bei laufender Benutzung und Forschung durchzuführen. Dies erforderte von allen Kollegen, aber auch den Benutzern unserer Bibliothek Geduld und Kooperation, besonders während die Kartonagen eingeordnet wurden und dadurch Bestandsgruppen kurzfristig in unbekannter Ordnung standen.
Ein weiteres Problem bildeten die in unserem Museum ausgestellten Bände. Wir vermaßen sie vor Ort an besucherfreien Tagen. Hier arbeiteten wir zu dritt, denn die Bücher mussten in den Vitrinen wieder positioniert und aufgebunden werden. Diese Messergebnisse wurden anschließend in die Datenreihe der magazinierten Bestände eingefügt, um die exakte Reihenfolge der Signaturen einzuhalten. Messen und Revision dauerten drei Monate. Dabei erwies sich KLUG-CONSERVATION als sehr kulant, denn sie ließ uns diesen wichtigen Arbeitsschritt in Ruhe durchführen, auch wenn wir damit das Messgerät der Firma blockierten.
Auch bei einer von uns verursachten Panne reagierte man rasch und stellte uns ohne viel Aufheben ein neues Gerät zur Verfügung. Zur Sicherheit führte ein Mitarbeiter von Klug auch erste Messungen gemeinsam mit uns durch. Nach unseren Messungen übernahm KLUG-CONSERVATION die Daten, bereitete sie in Excel-Tabellen auf, schickte sie uns zur Kontrolle und legte anhand der Messergebnisse die Modelle zur Produktion fest. Anfang August war es dann so weit, die ersten zwei mannshoch bestückten Paletten mit 500 Kartonagen trafen in Mainz ein (Abb. 6).
Zwar bot unser Magazin noch Regalplatz für den zusätzlichen Raumbedarf der Klug-Kassetten, allerdings am Ende der Aufstellung. Da unsere Inkunabeln in verschiedenen Signaturgruppen angeordnet sind, räumten wir die ersten Signaturgruppen „nach hinten“, so dass wir uns „vorne“ Freiraum schaffen konnten. Kann in anderen Beständen eine solche Um Ordnung nicht vorgenommen werden, müssten alle Bücher „nach hinten“ versetzt werden, damit „vorne“ Platz für die Bände in den Kassetten entsteht. Sofern man sich nicht auf diese Weise Regalraum beschaffen kann, werden in jeder neu bestückten Regalreihe Bände übrig geblieben, die sich immer weiter unübersichtlich anhäufen.
Neugierig fingen wir an, die erste Palette auszupacken. Tatsächlich waren die Kartonagen schichtweise in der richtigen Reihenfolge verpackt, so dass wir - im Gegensatz zu den verpackenden Mitarbeitern von KLUG-CONSERVATION - bei eins anfangen konnten. Das klingt eher nebensächlich, aber bei einer Anzahl von 3000 Stück spielt eine zuverlässige Ordnung eine wichtige Rolle (Abb.7). Bei unserer neuen Aufstellung ergab sich noch dazu die Hürde, dass die Höhe der Regalfächer verändert werden musste, wobei wir die Bände nach zwei Größen getrennt unterbrachten. Dieses Ummontieren der Bretter unserer alten Regale erwies sich als der aufwändigste Arbeitsschritt. Ein modernes Regalsystem mit einzuhängenden Regalböden hätte hier viele Arbeitsstunden und manche abenteuerliche Arbeitshaltung ein- und ersparen können. (Abb.8)
Auch das eigentliche Einräumen verbanden wir mit einem zusätzlichen konservatorischen Arbeitsgang: der Buchpflege. Nachdem die leeren und neu angepassten Regalböden feucht ausgewischt waren, räumten wir die zu verpackenden Bücher regalweise auf einen Arbeitstisch, pressten den Kopfschnitt zusammen und saugten ihn ab (Abb.9). Abschließend konnten die gesäuberten Bände in die Kassetten und Mappen gelegt und an ihrem endgültigen Standort aufgestellt werden.
Heikel wurde unsere Arbeit noch mal an der Stelle, als wir unseren Platzvorsprung aufgrund der zusätzlichen Wellpappenstärken verloren hatten. Nun mussten wir die vor uns liegenden Regale erst leeren und die Bände im hinteren Regalbereich zwischenlagern, aus Platzmangel sogar teilweise auf dem Vorderschnitt (Abb.10). Diese Menge schwoll natürlich an, konnte auch nicht immer fortlaufend einsortiert werden, wurde aber mit einer gewissen Logistik bewältigt.
Wir alle waren positiv überrascht, wie zuverlässig KLUG-CONSERVATION aus der riesigen Menge der von uns über Wochen eingegebenen Daten und Maße einwandfrei passende Konservierungsbehältnisse hergestellt hatte. Alle falschen Größen gingen auf Messfehler - etwa weil der Messschieber noch in Bewegung war, während das Maß schon per Knopfdruck festgelegt wurde - und nicht auf Produktionsfehler zurück, wie wir an den Messtabellen nachvollziehen konnten.
Schon bei den Vorgesprächen hatte KLUG-CONSERVATION zugesichert, fehlerhafte Kassetten problemlos am Ende der Aktion nachzuliefern. Diesem galt auch für die beiden Bücher, die versehentlich nicht vermessen worden waren und nun ohne Kassette sozusagen „nackt und bloß“ zwischen den verpackten Inkunabeln standen (Abb.11). Andererseits waren wir auch stolz auf ein Lob der Firma KLUG-CONSERVATION über unsere Messgenauigkeit, denn diese letzte Korrektur betraf nur 8 Kartonagen.
Pünktlich zum Jahresende 2008 konnten wir die letzte von 6 Lieferungen mit einem Umfang von 4 Paletten verarbeiten. Entgegen meiner Befürchtungen konnten wir alle Inkunabelbestände problemlos unterbringen, sogar Lagerplatz für Leihgaben und die Sammlung von Einzelblättern konnte beibehalten werden. Nun ist der gesamte Bestand von 3000 Inkunabeln in individuell angepassten Schutzbehältnissen einsortiert. Seine individuelle Ansicht und das Flair alter Buchrücken hat unser Magazinraum zwar verloren (Abb.12), aber dieses Projekt erhält unseren Bestand für zukünftige Generationen, denn Restaurierungseingriffe durch künftige mechanische Belastungen werden vermieden. Damit habe ich ein Ziel meiner Restaurierungstätigkeit am Gutenberg-Museum erreicht.
Den Vertretern der Stadt Mainz danke ich für ihre Einsicht in die Bedeutsamkeit ihrer Inkunabelsammlung und die notwendigen Finanzmittel, meinen Kollegen für Ihr Verständnis und für Ihre engagierte Mitarbeit, besonders aber der Firma KLUG-CONSERVATION für ihr Entgegenkommen und für die immer hilfreiche und freundliche Zusammenarbeit bei diesem Projekt.
Das Anwendungsbeispiel können Sie auch ausdrucken.
Annette Lang-Edwards, Buchrestauratorin am Gutenberg Museum - Mainz, im Februar 2009.