Der Oddy-Test – Möglichkeiten und Grenzen

06.03.2013
Prof. Dr. Gerhard Banik, bis 2008 Leiter des Studiengangs Restaurierung und Konservierung von Graphik-, Archiv- und Bibliotheksgut an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste, Stuttgart nimmt nach eingehenden Studien während der letzten drei Jahre Stellung zu Einsatz und Handhabung des Oddy-Tests.

Der Oddy-Test wurde erstmals 1973 von Antony Werner vorgeschlagen. 1975 wurde er von Andrew Oddy, damals Britisches Museum, Scientific Department, zu einem nachvollziehbaren Testverfahren weiterentwickelt. Mit ihm können gasförmige Schadstoffe nachgewiesen werden, die aus Materialien für die Vitrinenausgestaltung ausgasen (VOCs). Risikobehaftete Materialien können somit bei der Einrichtung von Ausstellungsvitrinen für museale Objekte ausgeschlossen werden. (Oddy 1975) Es handelt sich um einen Korrosionstest, bei dem Schadstoffe ausschließlich über die Gasphase bei 100% relativer Feuchte eine Korrosion an drei Indikatormetallen (Silber, Kupfer und Blei) auslösen. Der Bewertungszustand der Indikatormetalle wird nach einer Behandlungszeit von 28 Tagen bei 100% rF und 60°C erreicht.

In einer Veröffentlichung von Lee und Thickett aus dem Jahr 1979 ist die Testmethode beschrieben, in der die Autoren ausdrücklich darauf hinweisen, dass die beschriebene Untersuchungsmethodik exakt einzuhalten ist „The following recommended method should be followed exactly“. Demnach sind zwei Gramm des Probenmaterials zerkleinert auf dem Boden eines gereinigten Glasbehälters, z.B. eines Erlenmayerkolbens, zu platzieren. Das gereinigte Indikatormetall wird an einem Nylonfaden über der Probe aufgehängt. Zur Einstellung der relativen Feuchte wird zusätzlich ein mit destilliertem Wasser gefülltes Glasgefäß in dem Analysengefäß platziert, das mit einem entsprechenden Kunststoff- oder Glasverschluss hermetisch verschlossen wird. Die Temperaturbehandlung erfolgt dann über die vorgeschriebene Behandlungszeit von 28 Tagen in einem Trockenschrank bei 60°C konstant. Ein verbessertes und vereinfachtes Prozedere findet sich in einer rezenteren Veröffentlichung von Robinet und Thickett (2003), das auch in den von der HTW Berlin (siehe Literaturanhang) in Fortbildungsveranstaltungen zum Oddy-Test vermittelt wird.

Obwohl die Autoren schon aus Gründen der Vergleichbarkeit von Untersuchungsergebnissen auf die strikte Einhaltung von Testaufbau und -methodik hinweisen, werden ca. 20 unterschiedliche Vorgangsweisen praktiziert und überwiegend an Museumslaboratorien oder von freiberuflichen Restauratoren durchgeführt. Schon deshalb soll festgehalten werden, dass die Resultate weder vergleichbar, noch reproduzierbar und in vielen Fällen mit erheblichen Ungenauigkeiten behaftet sind.

Dass der Oddy-Test als Korrosionstest von Testmetallen mit großen Unsicherheiten behaftet ist, kann im Wesentlichen auf folgende Fakten zurückgeführt werden:

1) Die Korrosion der Testmetalle bei 100% Luftfeuchtigkeit verläuft entscheiden anders als unter "normalen" Feuchtigkeitsbedingungen (50% rF).

2) Die Korrosion der Testmetalle im Direktkontakt mit den zu untersuchenden Werkstoffen verläuft entscheidend anders als nur durch eine reine Gasphasenreaktion  mit den aus diesen Materialien ausgegasten Substanzen (VOCs).

3) Die Korrosion der Testmetalle ist entscheidend davon abhängig, wie die Oberfläche der Metalle für den Test vorbereitet wird. Das betrifft sowohl die Präzision des Schleifens der Oberfläche, wie auch die ihrer anschließenden Reinigung. Für die Vergleichbarkeit der Resultate und die Interpretation einer korrosiven Veränderung der Testmetalle müssen jedenfalls Schleif- und Reinigungspräparation der Indikatormetalle absolut präzise durchgeführt werden. Es gelten in diesem Zusammenhang die Hinweise von Lee und Thickett, sowie anderer Publikationen (Zhang et al. 1994, Robinet und Thickett 2003).

4) Die Korrosion der drei Testmetalle, Silber, Kupfer, und Blei, ist in den meisten Fällen auf drei, von den geprüften Materialien ausgegasten Substanzen (VOCs), nämlich Schwefelwasserstoff (Silber), Essigsäure (Kupfer) und Essigsäure (Blei) zurückzuführen, wobei die Mechanismen des jeweiligen Korrosionsvorgangs bei Mischungen von ausgegasten Schadstoffen visuell nahezu nicht einschätzbar sind.

5) Zusätzlich treten intensive Farbveränderungen an den Oberflächen von Kupfer und Blei durch Ausbildung von Oxidschichten auf, die sich in einer deutlichen Verdunkelung der Metalloberflächen manifestieren.

6) Die Zuordnung der an den Metalloberflächen eingetretenen Veränderungen in die Stufen „keine Korrosion – leichte Korrosion – starke Korrosion“ unterliegt dem subjektiven Eindruck des Bearbeiters. Sie kann und darf daher für die Beurteilung eines getesteten Materials nicht als reproduzierbares und eindeutig interpretierbares wissenschaftliches Messergebnis angesehen werden.

7) Probenahme, Manipulation und Lagerung der zu testenden Materialien in Werkstätten und Labors können entscheidende Auswirkungen auf das Testergebnis haben, letzteres, weil sie in der Raumluft vorhandene Schadstoffe absorbieren können.

Demnach ist der Oddy-Test kein ausreichend präzises analytisches Instrument, um die Ursachen von Korrosionsphänomenen oder Verfärbungen der Indikatormetalle zu interpretieren. Seine Anwendung wurde und wird trotz weiter Verbreitung im Museumsbereich sehr kontrovers diskutiert (Grzywacz  2006). Der Test ist nur und ausschließlich dazu geeignet, nachzuweisen, ob aus bestimmten Materialien unter den Versuchsbedingungen Schadgase austreten. Aus den Testergebnissen lässt sich nicht ableiten, welche Risiken für Werkstoffe bestehen, die über längere Zeiträume mit den getesteten Materialien in Kontakt stehen. Eine direkte Übertragung der Daten ist mit Einschränkung nur für die Testmetalle zulässig und hier wiederum einigermaßen realistisch nur für Silber (Verschwärzung durch Bildung von Silbersulfid in Gegenwart von Sulfidschwefel enthaltenden Schadgasen) und Blei (Bildung weißer Beläge durch Entstehung von basischen Bleicarbonat bzw. Bleiacetaten bei Freisetzung von Essigsäure).  Näheres zur Korrosion von Blei in Gegenwart von Essigsäure findet sich bei Tetreault (1998).

Neuere Untersuchungen aus den Jahren 2003 und 2011, die im Literaturanhang angeführt sind, verweisen auf etwas präzisere Testmethoden, z.B. einen optimierten Oddy-Test  (Robinet und Thickett, 2003) und einen modifizierten Aufbau mit präziserer Analytik (Strli? 2011). Besonders das von Strli? vorgeschlagene Verfahren scheint geeignet genauere Aussagen bezüglich des Gefährdungsgrads von Materialien auf Cellulosebasis zu ermöglichen, allerdings erfordert dieser Test einen wesentlich höheren analytischen Aufwand.

Für die Untersuchung von Papier und Karton, also Werkstoffen auf Cellulosebasis, die für die dauerhafte Lagerung von Kulturgut eingesetzt werden, finden sich in der Arbeit von Strli? einige Hinweise, die allerdings noch einer weiteren Verifizierung bedürfen. Es ist bekannt, dass gasförmige Schadstoffe einen Einfluss auf die Beständigkeit von Papier haben, wobei das Ausmaß des Risikos von der Papierzusammensetzung und den jeweiligen Schadstoffverbindungen abhängig ist. Es lässt sich formulieren, dass gasförmige Säuren einen relativ bedeutenden Einfluss haben, allerdings könnten auch Aldehyde, nachdem sie zu sauren Komponenten oxidieren können, ebenfalls den Abbau von Papier verursachen. Essigsäure wird von ligninhaltigen Papieren im Zuge von deren Alterung emittiert. Sie hat aber nach den derzeitigen Forschungsergebnissen (Di Pietro und Ligterink 2012, Potthast et al.) nur einen geringen Effekt auf die Alterungsstabilität von Papier. Neben Essigsäure treten auch noch Ameisensäure und andere Verbindungen auf, deren Einfluss bisher kaum abschätzbar ist (Volland et al. in Druck). Vor allem ist anzumerken, dass selbstverständlich in Umhüllungen eingeschlossene und in einem Museumsdepot verwahrte historische Dokumente diese Schadstoffe ebenfalls emittieren.

Es ist bemerkenswert, dass die in DIN/ISO 16245:2011-04 festgelegten Kriterien für Umhüllungsmaterialien die Entstehung gasförmiger Schadstoffe bzw. deren Akkumulation in Behältnissen nicht berücksichtigen. Von Sammlungsseite wäre zu überlegen, die entsprechenden Standards zu modifizieren. Es ist wahrscheinlich, dass neben den Boxen und Montagematerialien auch andere Werkstoffe zumindest in einem beschränkten Umfang Essigsäure und andere VOCs emittieren, darunter auch das Sammlungsgut selbst. Inwieweit diese in Behältnissen akkumulierten Essigsäurekonzentrationen zu Schäden an Objekten führen oder bereits geführt haben, ist kaum abschätzbar. Sehr stark dürften sie nicht sein, sonst wäre das an vielen Sammlungsgegenständen, insbesondere an säureempfindlichen Kolorierungen, erkennbar.

Ebenfalls von Museumsseite zu überlegen wäre, inwieweit die Norm für Umhüllungsmaterialien von Sammlungsgut (DIN/ ISO 11799: 2005-06) in der derzeit gültigen Fassung aufrechterhalten werden kann, in dem der Grenzwert für eine Essigsäurekonzentration mit < 4 ppb und für Formaldehyd ebenfalls mit < 4 ppb festgelegt wird, obwohl derzeit erarbeitete Forschungsresultate darauf hinweisen, dass die Schädigungswirkung von Essigsäure auf Cellulose gering anzusetzen ist.

Literatur:

DIN ISO 16245: 2011-04: Information und Dokumentation –Schachteln Archivmappen und andere Umhüllungen aus zellulosehaltigem Material für die Lagerung von Schrift- und Druckgut aus Papier und Pergament. Deutsches Institut für Normung, Berlin: Beuth.

DIN ISO 11799: 2005-06:Information und Dokumentation – Anforderungen an die Aufbewahrung von Archiv- und Bibliotheksgut. Deutsches Institut für Normung, Berlin: Beuth.

DI Pietro, G., F. Ligterink, F.: The limited impact of acetic acid in libraries and archives. In:Indoor Air Quality 2012, 10th International Conference Indoor Air Quality in Heritage and Historic Environments “Standards and Guidelines”, Book of Abstracts, London: UCL Centre for Sustainable Heritage, 2012, 19

Green,L.R., Thickett, D.: Testing materials for use in the storage and display of antiquities: A revised methodology.  Studies in Conservation 40 (1995): 145-152.

Grzywacz C.,:Monitoring for gaseous pollutants in museum environments. Los Angeles: The Getty Conservation Institute, 2006.

Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin: Eine Weiterbildung zum Indikatortest nach Oddy. http://weiterbildung.htw-Berlin.de/SysBilder/File/HTW_Weiterbildung_Oddy_2013.pdf

Lee, L.R., Thicket, D .:Selection of materials for the storage or display of museum objects. London: Britisch Museum Occasional Paper 111.

Oddy, A.: The corrosion of metals on display. Conservation in Archaeology and the Applied Arts,(N. S.Brommelle und P.Smith  Hrsg.), London: IIC (1975): 235-237

Potthast, A., Kostic, M., Jeong, M-J., Becker, M., Zweckmair, T., Ahn, K., Bohmdorfer, S, Rosenau, T.:  Hydrolysis and surface modification of paper during aging.  in European workshop on cultural heritage preservation EWCHP 2nd, EWCHP, Oslo, 2012.

Robinet, L., Thickett, D.:  A new methodology for accelerated corrosion testing.  Studies in Conservation 48 (2003): 263-268

Strli?, M., Kralj Cigi?, I., Možir;A.,de Bruin; G.,  Kolar, J., Cassar, M.: The effect of volatile organic compounds and hypoxia on paper degradation. Polymer Degradation and Stability 96 (2011): 608-615

Tetreault, J., Sirois, J.,Stamatopoulou, E.: Studies of lead corrosion in acetic acid. Studies in Conservation 43 (1998): 17-32.

Volland, G., Hansen, D., Knjasev, V., Meyer ,F.: The „Schinkel’s Legacy“ Project at the Kupferstichkabinett / Schinkelmuseum Berlin. Subproject: Air Quality in Warehouse Storage Cabinets – Cause and Effect. Restaurator 34, No.3, Restaurator, in Druck.

Zhang, J., Thickett, D., Green L.: Two tests for the detection of volatile organic acids and formaldehyde. Journal of the American Institute for Conservation 33 (1994): 47-53

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